Sonntag, 20. Dezember 2020

Bönsel und die Blechochsen

Herr Bönsel fährt seit 25 Jahren jeden Tag die gleiche Strecke mit dem Auto zur Arbeit. Es ist nicht der schnellste Weg, dafür aber der schönere der ihn seit einem Vierteljahrhundert an sein Ziel führt. Heute jedoch hat sich sein Leben grundlegend geändert. Beim Einscheren auf die rechte Spur, um nach Rechts abzubiegen, merkt er, dass ihn niemand einfädeln lassen möchte. Der erste braust an ihm rechts vorbei, der  nächste Kleinwagen schließt vorher schon dicht auf, und der nachfolgende Van beschleunigt sehr stark. Herr Bönsel hat keine Chance, er bleibt stehen, setzt sich dem Hupen aus, der ihm nachfolgenden Autos und wartet bis er rechts abbiegen kann und tut es dann auch. Von diesem Tag an fährt er die andere, ihm unbekanntere, dafür schnellere Strecke. Er kann sein Auto nun zum ersten mal stark beschleunigen, das heißt er muss es, um in der Herde der Blechochsen überhaupt mit "rennen" zu können. Er arbeitet in dieser Zeit immer länger, meist bis in den späten Abend und fährt mit letzter Kraft nach Hause. Sein Leben ist in dieser Zeit sehr anstrengend und für die Tagesschau oder die Lektüre im Bett fehlt die Motivation. Er träumt in dieser Zeit von einem neuen Leben, einer neuen Arbeit und einer Existenz ohne Auto. Am nächsten Tag kommt er aus unerklärlichen Gründen an der Stelle von der Straße ab, an der er sonst immer nach rechts abgebogen ist und verunglückt tödlich. 


Text und Bild : Andreas Stock
Ort : Gevelsberg

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